Giftschlangen in Indien

Pavan Kumar N, Indian Cobra, CC BY-SA 3.0

Giftschlangen in Indien

Während meines Urlaubes in Indien (in der Stadt Gokarna im Bundesstaat Karnataka, südlich von Goa) hatte ich mehrfach Kontakt zu Schlangen bzw. zu einem Touristen, der von einer unbekannten Schlange gebissen wurde. Habe daher viel zu diesem Thema recherchiert, um für einen etwaigen Schlangenbiss als Arzt (oder als Opfer) gerüstet zu sein.

Generell findet man in der Literatur viel Widersprüchliches zum Thema Giftschlangen. Auch eine optimale Versorgung ist meiner Ansicht nach vor allem im ländlichen Indien kaum möglich.

Ich wollte unbedingt ein Foto von einem Fläschchen mit Antivenom („Gegengift“) machen. Leider haben die Recherchen in meinem Urlaubsort (relativ reiche Gemeinde mit viel Tourismus und auch bekannt vielen Kobras) ergeben, dass im ganzen Bezirk kein Serum vorrätig ist. Ich wurde auf das nächste Kreiskrankenhaus („goverment hospital“) in ca. 30km Entfernung verwiesen. Ob dort das Gegengift auch wirklich vorrätig ist?

Aber alles der Reihe nach:

In Indien gibt es schätzungsweise 2 Millionen Schlangenbisse jährlich, 30.000 bis 50.000 sterben daran. Da es keine Meldepflicht gibt, sind diese Zahlen sicherlich nur sehr grob geschätzt. 

Ca. 300 Schlangenarten gibt es in Indien, etwa 50 davon sind Giftschlangen. Jedoch verursachen lediglich vier Schlangen etwa 90% der tödlichen Bisse. Folgende vier Schlangen sind die sogenannten „big four“:

 

  • Indische Kobra (Naja naja, indian cobra)
  • Indischer Krait (Bungarus caeruleus, common krait)
  • Kettenviper (Daboia russelii, Russel´s viper)
  • Sandrasselotter (Echis carinatus, saw-scaled viper)

 

 

Die Giftwirkung dieser vier Schlangen ist ganz unterschiedlich und oft gelingt es nicht anhand der Beschreibung der Schlange die Art sicher zu identifizieren. Daher ist es sicherlich sinnvoll, dass es in Indien nur einen Cocktail aus dem Serum gegen alle vier Schlangen gibt. Dieses sogenannte polyvalente Antivenom sollte laut indischen Gesundheitsbehörden als Einziges in Indien vertrieben werden.

Um es herzustellen, werden Pferde über mehrere Monate mit geringen Mengen des Giftes der vier Schlangen „beimpft“. Danach wird den jetzt immunen Pferden Blut entnommen und nach mehreren Reinigungsschritten erhält man die Antikörper gegen die Schlangengifte. Dieses relativ aufwendige Verfahren führt dazu, dass das Gegengift für indische Verhältnisse relativ teuer ist (bis zu 100 Dollar pro Behandlung). 

Da es sich bei dem fertigen Medikament um Fremdeiweiß handelt, kann es bei der Verabreichung zu schweren allergischen Reaktionen kommen.

Generell ist die Behandlung eines Schlangenbisses komplex und erfordert von den Ärzten eine Vielzahl an medizinischen Maßnahmen:

  • Korrekte Versorgung der Wunde
  • Tetanusimpfung
  • Etwaige lokale Komplikationen im weiteren Verlauf operativ zu versorgen (Rhabdomyolyse, Nekrosektomie, Amputation)
  • Bei neurologischen Komplikationen (Atemlähmung, schwere Schluckstörung) Einleitung intensivmedizinischer Maßnahmen (Beatmung), Gabe von Atropin und Neostigmin
  • Intensivmedizinische Versorgung von inneren Blutungen mit Gerinnungsmanagement
  • Beherrschen der häufig vorkommenden schweren allergischen Reaktionen auf des Gegengift (anaphylaktischer Schock)
  • Rehabilitation

Selbst ein gut ausgerüstetes europäisches Krankenhaus wäre mit all diesen möglichen Komplikationen ziemlich gefordert, ein durchschnittliches asiatisches Spital sicherlich überfordert.

Was soll man daher tun, wenn man von einer Schlange gebissen worden ist?

  • Ruhe bewahren. Ca. 90 Prozent aller Schlangenbisse in Indien erfolgen durch nicht oder nur gering giftige Schlangen. Außerdem können Giftschlangen selbst beeinflussen, ob sie bei einem Biss Gift abgeben oder nicht. Bei ungefähr der Hälfte der Bisse durch die „big four“ wird kein oder nur sehr wenig Gift übertragen („dry bite“). 
  • Die betroffene Extremität immobilisieren.
  • Keinesfalls die Extremität abbinden oder die Bisswunde aufschneiden. Auch das Aussaugen des potentiellen Giftes wird nicht empfohlen.
  • Rascher Transport in ein Krankenhaus, in dem man auf die Versorgung von Schlangenbissen eingerichtet ist.
  • Die Gabe des Gegengiftes soll nur bei einsetzenden Anzeichen einer systemischen Giftwirkung (z.B. Lähmung der Augenmuskeln, Zahnfleischblutungen) erfolgen.
  • Nach einem Schlangenbiss sollte selbst bei geringen Beschwerden eine Überwachung über 24 Stunden erfolgen, um beim Auftreten einer verzögerten Giftwirkung rechtzeitig reagieren zu können: Kontrolle des Nervensystems, der Blutgerinnung und der Muskelwerte im Blut sowie Beobachtung der Bisswunde. 

 

 

Picture Copyright: Pavan Kumar NIndian CobraCC BY-SA 3.0